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Ausgewählte Beiträge zur Technik von Dampfbooten
Die Erfindung einer Geradführung von James Watt (1736 - 1819) Hubert Paulus
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Watt‘sche Geradführung
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Es   handelt   sich   um   die   auch   als   "Wattsches   Parallelogramm"   bekannt   gewordene   Erfindung,   die   wir   an   den   früheren   Dampfmaschinen mit Balancier finden und deren majestätische Bewegungen bei langsamen Drehzahlen uns immer wieder faszinieren. Auch die Balancier-Dampfmaschine "Beam Engine" von Stuart kann damit aufwarten:
Die   Bewegung   der   vielen   Stangen   und   Gelenke   ist   auf   den   ersten   Blick   verwirrend.   Um   ihre   Funktion   zu   verstehen,   hier   zunächst   ein Blick zurück ins 18. Jahrhundert: In   den   ersten   Dampfmaschinen,   den   sog. Atmosphärischen   Maschinen,   wurde   der   Zylinder   unter   dem   Kolben   mit   Wasserdampf   gefüllt, der   dann   durch   Einspritzen   von   Wasser   abgekühlt   und   kondensiert   wurde.   Der   dadurch   entstehende   Unterdruck   bewirkte,   dass   der äußere   atmosphärische   Luftdruck   den   Kolben   nach   unten   drückte.   Die   Zugkraft   des   Kolbens   wurde   über   eine   Kette   auf   den   Balancier übertragen, der auf der anderen Seite - wiederum über eine Kette - ein Pumpengestänge betätigte. Die   Entwicklung   der   doppelt   wirkenden   Betriebsmaschine   durch   James   Watt,   bei   der   beide   Kolbenhübe   als Arbeitshübe   genutzt   werden konnten,   brachte   neue   Herausforderungen.   Die   bisherige   Übertragung   der   Kraft   zwischen   Balancier   und   Kolben   mittels   Ketten   war   nicht mehr möglich, da die Verbindung nunmehr Zug- und Druckkräfte aufnehmen musste. Die   Kolbenstange   konnte   jedoch   nicht   direkt   mit   dem   Ende   des   Balanciers   verbunden   werden,   weil   dieser   Punkt   eine   Kreisbahn   be- schreibt.   Die   Bewegung   hätte   zur   Folge,   dass   die   Kolbenstange   die   Stopfbuchse   schnell   ausleiern   würde   und   damit   die   Dampfdichtheit nicht   mehr   gegeben   wäre.   Dieses   Problem   löste   Watt   mit   Patent   vom   28.   April   1784   durch   seine   Geradführung,   dem   sogenannten Wattgestänge :
Das   Diagramm   zeigt   den   Bewegungsablauf.   Es   besteht   nur   aus   den   beiden   festen   Punkten   A    und   G ,   den   beiden   Hebeln   AB    und   EG , die   sich   in   A    und   G    drehen   können,   und   der   Stange   BE ,   die   an   ihren   Endpunkten   drehbar   mit   den   beiden   genannten   Hebeln verbunden   ist.   Wenn   der   Hebel   AB    hin-   und   hergedreht   wird,   bewegen   sich   B    und   E    auf   Kreisbahnen.   Punkt   F    jedoch   beschreibt   in gewissen   Grenzen   eine   gerade   Linie,   er   bewegt   sich   auf   und   ab   (rot   gestrichelt).   Diese   Gerade   ist   Teil   einer   sog.   Lemniskate,   einer schleifenförmigen Kurve in Form einer Acht. Zum   Betrieb   einer   Maschine   könnte   man   das   Ende   der   Kolbenstange   direkt   mit   Punkt   F   verbinden.   Das   hätte   aber   zur   Folge,   dass   der Kolbenhub   sehr   gering   wäre.   Um   einen   größeren   Hub   zu   erzielen,   müsste   man   die   Punkte   B ,   E    und   vor   allem   G    sehr   viel   weiter   nach rechts verlagern, was den Platzbedarf der Maschine deutlich vergrößern würde. Um   dieses   Problem   zu   lösen,   erweiterte   Watt   seine   Geradführung   um   weitere   Lenkgestänge   zu   einem   Parallelogramm,   das   die Vergrößerung   des   Hubs   nach   der   Wirkungsweise   eines   Pantographen   (auch   Storchenschnabel   genannt,   bereits   1603   von   Christoph Scheiner erfunden) bewirkte. Das   Parallelogramm   wird   von   den   Punkten   BCDE    gebildet,   wobei   alle   vier   Eckpunkte   drehbare   Gelenke   sind.   Nach   den   mathemati- schen   Gesetzen   des   2.   Strahlensatzes   verhalten   sich   die   Strecken   AB    zu   AC   wie   BF    zu   CD ,   die   Punkte   A ,   F    und   D    liegen   auf   einer Geraden   (rote   Linie).   Auch   die   Strecke   AF   ist   proportional   zur   Strecke   AD .   Insofern   vollführt   also   D    die   gleiche   Bewegung   wie   F ,   nur "vergrößert".   Wenn   sich   F    auf   einer   geraden   Linie   bewegt,   dann   also   auch   D    –   der   Punkt,   der   über   die   Kolbenstange   mit   dem   Kolben K  verbunden ist. Im Beispiel unten beträgt der "Vergrößerungsfaktor" 2.
Wie   oben   erwähnt,   kann   auch   der   Punkt   F   mit   seiner   geradlinigen   Bewegung   genutzt   werden.   Bei   den   damaligen   Niederdruck maschinen war hier oft die Kolbenstange der Luftpumpe angelenkt. Die   Umsetzung   der   Bewegung   durch   das   Wattgestänge   und   die   Vergrößerung   des   Hubs   durch   das   Parallelogramm   sind   also   zwei unabhängige Mechanismen, die auch separat verwendet werden können. Auch   heute   spielt   das   Wattgestänge   eine   wichtige   Rolle   in   der   Technik,   z.B.   zur   Führung   von   Starrachsen   an   Nutzfahrzeugen   oder   bei der Radaufhängung an den Drehgestellen von Schienenfahrzeugen. 1808   schrieb   James   Watt   an   seinen   Sohn:   "Obwohl   ich   um   Ruhm   mich   nicht   sorge,   bin   ich   doch   auf   die   Parallelbewegung   stolzer   als auf irgend eine andere Erfindung, die ich gemacht habe." Dazu hatte er allen Grund!